Manchmal fühlt man sich ja an Motive aus der Literatur erinnert.
Da kommt einer her und beklagt, dass das böse Nichts sein Phantasien bedroht. Der wirkliche Gegner ist noch nicht mal der, der ein anderes Phantasien hat, sondern der, der statt Phantasie und Wunschdenken lieber nüchterne Fakten hat, der, der sagt: alle Phantasien sind gleich, weil alle Menschen gleich sind, lasst uns lieber über Fakten reden und über das, was dem Menschen gemäß ist, diskutieren anstatt alte Texte zu konsultieren.
Nun ist der, um den es heute geht, weder so nett noch so naiv wie die kindliche Kaiserin. Es ist jemand, der aus dem Umstand, dass jemand seine Phantasien nicht teilt, auch noch pauschal allerlei Böses ableitet. Der, um den es heute geht, ist der bekannte katholische Bischof Walter Mixa von Augsburg. Nach einigen früheren Verbalausfällen, die die Presse schon kommentiert hat, erdreistet sich der Herr Mixa gestern in seiner Osterpredigt, Atheismus als Urgrund von Unmenschlichkeit auszumachen und als eigentlichen gemeinsamen Nenner nationalsozialistischer und stalinistischer Verbrechen zu benennen. Über diese aktuellen aggressiven Verbalattacken wurde im Spiegel berichtet:
OSTERPREDIGT
Bischof Mixa sieht Massenmord als Folge des Atheismus
Nun, Herrn Mixa könnte man sagen, dass er lieber doch erst mal die Verbrechen aufarbeiten und sich zu ihnen positionieren soll, die die Kirche begangen hat. Ist doch schließlich die Unrechtsgeschichte der katholischen Kirche kaum weniger schlimm als stalinistische und nationalsozialistische Verbrechen und war ähnlich systematisch, man erinnere sich nur an die stark instutionalisierte Inquisition. Schließlich ist er Vertreter nicht mal einer Nachfolge- sondern der originalen Institution. Über etliche Jahrhunderte in vielen Ländern kommt da ordentlich was zusammen. Aber das will der Herr Mixa dann wohl doch nicht, der Balken im Auge des vermeintlichen Gegenübers ist ja viel interessanter als der eigene. Anscheinend waren die Kirchenmorde moralisch höher stehend als andere Morde. Ein klarer Fall von einem Zweck, der wohl nach Herrn Mixas Meinung die Mittel heiligte, und genau an diesem Punkt ist der Herr Mixa stellvertretend trotz des heutigen gemäßigteren Auftretens seiner Organisation sicher näher an irgendwelchen Untaten als irgendein Atheist, der weder Nazi noch Stalinist ist. Denn – wenn man sich nicht verlesen hat – die Kirche hat sich bis heute allenfalls von kleineren Fehlern, aber nicht von größeren Ansätzen, die zu unendlichen Opfern an Menschenleben und viel Leid führten, ausreichend distanziert.
Nein, der Herr Mixa beklagt den bösen Unglauben an sich und meint, dass nur eine gläubige Gesellschaft eine wahrhaft menschliche sein könne. Dazu ist nur zu sagen: die Kirche hatte ihre Chance. Jahrhundert um Jahrhundert um Jahrhundert. Und sie hat grausam versagt. Sie hat den Menschen, wo sie uneingeschränkte Macht hatte, nicht nur bei Unbotmäßigkeit wahrhaftig nicht den Himmel, sondern die Hölle auf Erden bereitet. Denn so glaubensstreng man sich gibt, wollte man das Urteil doch nicht Gott überlassen, sondern hat sich selber lieber zum Götzen aufgeschwungen, hat Macht gewollt und sie mißbraucht, hat sich zum Herrn über Leben und Tod gemacht, eine Herrschaft über Scheiterhaufen, Religionskriege aber auch Privatleben. Fast möchte man meinen, dass der Herr Mixa diesen „guten alten Zeiten“ kaum beschränkter Macht hinterher trauert, war doch die Auslegung dessen, was in der Gesellschaft als gut und böse anzusehen sei, fast nur von der eigenen machthungrigen Gruppierung bestimmt. Man sah sich als ethische Instanz, als die einzige wirkliche und mögliche ethische Instanz.
Doch der Herr Mixa ist völlig geschichtsvergessen: erst mit der Aufklärung, also der (Weiter-)Entwicklung ethischer Prinzipien ohne oder weniger abhängig von kirchlichen Glaubensinhalten, wurde der Einfluß der Kirche geringer und man kann nicht dankbar genug dafür sein. Das wurde der Kirche Stück für Stück abgerungen. Denn wer sich auf ein altes Buch und seine Auslegung als letzte Instanz beruft, ist rückwärtsgewandt, mit allen grauslichen Folgen des moralischen Stillstands. „Equalité, Fraternité, Liberté!“ stehen nicht in der Bibel. Gleich ist da nur, wer auch glaubt, brüderlich ist man zumindest in der Kirche eher auch nur zum Glaubensbruder (zumindest vermisst man bei Herrn Mixa die christliche Nächstenliebe bei seinen bösen Unterstellungen) und Freiheit – ja, die ist natürlich ganz schlimm. Da könnte ja jeder herkommen und nicht des Herrn Mixas Phantasiewelt teilen. Da könnte ja jeder herkommen und forschen. Da könnte ja jeder herkommen und fragen, warum die Kirche ihre Pfründe nicht ausschließlich für die Armen, sondern auch für Prunk und Protz, Gold und Gewänder, Macht und Meinungsmache aufwendet.
Denn – man sollte sich da nichts vormachen – die katholische Kirche sitzt als angeblich und traditionell zu hörende Institution in vielen Gremien, in denen Dinge entschieden werden, die das Gemeinwesen oder die öffentliche Meinung betreffen. Die Kirche entsendet Vertreter in Ethik-Kommissionen und Rundfunkräte, um nur zwei Beispiele zu nennen. Folgte man der Logik von Herrn Mixa, müßte man die Kirche sofort auffordern, ihre Vertreter zurückzuziehen. Denn die Kirche hat als Institution bewiesen, dass sie keine neuen Ideen fördert, sondern nur ihre eigenen heute antiquierten perpetuiert und ansonsten darauf achtet, Macht nicht kampflos abzugeben.
Insofern ist die Angst des Herrn Mixa vor dem Nichts die Angst davor, dass die Institution, der er eine biologische Lebenserfüllung geopfert hat, an Macht verliert, dass sein persönliches Opfer auf lange Sicht umsonst war.
Eigentlich kann er einem fast leid tun in seinem Haß auf das Nichts.